Die Feencon ist ein Fest für Rollenspieler. Tische für Spielrunden aller möglichen Pen&Paper- und Tabletop-Syteme finden sich überall in der Bad Godesberger Stadthalle vertreilt, in den Sälen und Korridoren, auf der Bühne, im Innenhof, in einem Zelt im Freigelände und sogar im Keller, wo die hartgesottensten Besucher auch die Nacht in Schlafsäcken verbringen. Zwei Tage lang konnte ich den Gesprächen der Spieler im Vorbeischlendern lauschen ("Ich hätte mir echt lieber einen Kleriker machen sollen"), Hexagonal-Landschaften und Miniatur-Ruinenstädte bewundern, in denen rundenbasierte Kämpfe mit liebevoll bemalten Figuren und Robotermodellen simuliert werden, und beim Stöbern in den Händlerkisten den einen oder anderen Schatz hervorziehen, den ich zu meinen eigenen Rollenspiel-Zeiten gerne besessen hätte.
Die Feencon ist aber auch eine Veranstaltung der phantastischen Kleinverlage und ihrer Autoren, und nach dem BuCon in Dreieich vielleicht die schönste ihrer Art. Und daran ist eben diese Synergie aus Rollenspiel und phantastischer Literatur schuld, die für beiden Interessengruppen eine gemeinsame Wohlfühlatmosphäre schafft. Zugegben, die Spieler sind an ihren Tischen eher unter sich, und die Lesungen werden überwiegend von Autoren besucht, aber spätestens beim legendären Kirschbier an der Taverne oder am Stand von Bernhard Hennen und Robert Corvus, deren Phileasson-Saga Fantasyleser und DSA-Fans gleichermaßen begeistert, verschwimmen die Grenzen.
Mich zog es jedoch mehr zu meinem literarischen Heimathafen, dem Stand des Leseratten Verlags. Nicht nur, weil ich dort Marc Hamacher und seine Frau Tanja Kummer treffe, sondern auch, weil ich dort zum ersten Mal mein Buch in der Hand halten werde: Die Anthologie Vikings of the Galaxy, für die ich zusammen mit Cara D. Strange als Herausgeber verantwortlich zeichne. Und zeichnen können wir in diesem Fall wörtlich nehmen, weil die Autoren-porträts tatsächlich aus meiner Feder beziehungsweise meinem Bleistift stammen. Die gesammelten Illustrationen findet ihr in der Galerie.
Bei der Vorstellung der Vikings am Sonntag las ich mit vollem Einsatz aus meiner Geschichte »Das Blutaxt-Debakel«, dem vierten Teil der FEUERSTURM-Chroniken. Angeblich habe ich mich ganz gut geschlagen ... Spaß gemacht hat es auf jeden Fall.
Sechzig Jahre in der Zukunft hat sich das Gesicht der Welt dramatisch gewandelt: Ein stabiles Sturmsystem hat große Teile der Erde verwüstet und die Menschheit zu einer bedrohten Art gemacht. In diesem Setting spielt Michael Erles Roman - und nähert sich dem Thema auf verblüffend unspektakuläre Weise. Es gibt kein totalitäres Herrschaftssystem, unter dessen Willkür die Menschen leiden, keine hollywoodtauglichen Zerstörungsorgien, keine actiongeladene Handlung. Und trotzdem, oder gerade deswegen, habe ich mich in diesem Buch sehr wohlgefühlt.
Die 14jährige Etienne (ja, das ist ein Jungenname, und das weiß sie auch) führt das beinahe normale Leben eines Teenagers - wären da nicht der Arbeitsdienst für das Gemeinwohl, die Angst vor dem Nanokrebs, die Regeln, die der Sturm den Menschen aufgezwungen hat und deren Nichtein-haltung den Tod bedeuten kann, und das frühe Erwachsenwerden, das Verantwortung und allgegenwärtige Gefahr mit sich bringen.
Auch wenn der eigentliche Sturm, ein menschen-gemachter kleiner Bruder des Großen Roten Flecks, tausende Kilometer entfernt um den Äquator rotiert, sind seine Ausläufer immer noch so verheerend, dass sie den Menschen beiderseits des Oberrheins einiges an Erfindungsreichtum und Disziplin abverlangen. Trotz der Ressourcenknappheit versorgt Etiennes Gemeinde zahlreiche Afrikaner, die der Hölle ihres unbewohnbar gewordenen Kontinents entronnen sind. Doch es gibt auch Menschen, für die der Sturm eine religiöse Offenbarung ist. Als einer von ihnen einen Anschlag auf das Flüchtlingsheim verübt, gerät Etienne ebenfalls in Lebensgefahr.
Michael Erle erzählt eine bedächtige, weitgehend unspektakuläre Geschichte im Schatten einer globalen Katastrophe, gegen die „The Day After Tomorrow“ ein laues Lüftchen ist. Dabei gelingt es ihm, sich tief in seine Protagonistin hineinzuversetzen und das Leben mit dem Sturm als ganz alltäglich darzustellen, ohne der Versuchung zu erliegen, dystopische Schreckensszenarien auszuwalzen. Für Etienne ist das Erwachsenwerden das eigentliche Abenteuer, die wackelige platonische „Ehe“ mit ihrem Freund Kagi und das Projekt, einen im Sturm beschädigten Funknetzknoten zu reparieren.
Der Autor findet die passende Sprache für seine Heldin; er lässt konsequent eine manchmal naive, manchmal erschreckend abgebrühte junge Frau erzählen, die ihren Platz in der Welt der Erwachsenen sucht, ihre Jugend aber noch nicht loslassen will.
Hin und wieder drängt sich Michael Erles eigene, wunderbar treffsichere und melodische Erzählstimme in den Vordergrund, und beinahe möchte man bedauern, dass er sich zugunsten der Glaubwürdigkeit seiner Protagonistin zügeln muss, sie einzusetzen. Sein Gespür für das Kleine im Großen, für das Normale im Extremen und für die Natürlichkeit seiner Welt und seiner Charaktere machen „Sturm über dem Rheintal“ zu einem Edelstein unter den Kleinverlagspublikationen.
Und wer den Untertitel „Die Erbin des Windes“ für ein reißerisches Aushängeschild hält, sollte den Roman erst einmal zu Ende lesen - Ich fand ihn nach anfänglicher Skepsis nämlich ganz zutreffend.
Zum Roman gibt es übrigens eine nette Youtube-Lesung von Tinker.
"Sturm über dem Rheintal - Die Erbin des Windes" (ISBN 978-3946348092) ist im Erdidanus-Verlag erschienen und dort im Shop oder bei Amazon erhältlich.
Die Phantastikszene ist ständig in Bewegung. Als sich mir dieser Kosmos über soziale Netzwerke und Con-Besuche eröffnete, staunte ich über die allgegenwärtigen Gemeinsamkeiten, Verbindungen und Bekanntschaften - und die produktive Energie, die aus dieser Dynamik resultiert. Ich konnte mir als eher schüchterner und leicht überforderter Neuling kaum vorstellen, einmal ein aktiver Bestandteil davon zu werden.
Aber genau das passiert, wenn man immer weiter schreibt und als Autor und Mensch sichtbar bleibt. Die Strömungen, an deren Oberfläche man sich bisher bewegt hat, ziehen einen mit sich. Und plötzlich befindet man sich dort, wo sie entstehen,
Das neue Jahr steht im Zeichen von fünf interessanten und aufregenden Projekten, die zwar viel Arbeit mit sich bringen werden, aber vor allem eines sind: Herzensangelegenheiten.
An erster Stelle steht dabei die Anthologie "Vikings of the Galaxy", die ich gemeinsam mit Cara D. Strange als Herausgeber initiiert habe und für die wir Marc Hamacher als Verleger gewinnen konnten. Inzwischen läuft die Ausschreibung, und wir sind sehr gespannt auf die Resonanz.
Ein weiteres Projekt - und ein echtes Experiment - ist die Herausgeberschaft als Autorenkollektiv. Entstehen soll eine Sammlung unserer schönsten unveröffentlichten Kurzgeschichten, zusammengeführt durch eine Rahmenhandlung. Hierbei zeigt sich, wie schwierig es sein kann, viele Autoren aufeinander einzustimmen und eine virtuelle Arbeitsplattform für die gemeinsame Planung zu finden - und wie viel ergiebiger ein einstündiges persönliches Treffen ist.
Von den übrigen drei Projekten werde ich beizeiten berichten. Eines davon könnte mein erster Roman werden, und die anderen beiden sind zum jetzigen Zeitpunkt geheim. Es bleibt spannend ...
2018 wird auch einige Neuveröffentlichungen bringen. Meine Kurzgeschichte "Der potemkinsche Spieler" wird als Teil der "Phantastischen Sportler" im Verlag Torsten Low erscheinen, und "Die Knochen der Götter" haben es in die Anthologie "Steampunk: Akte Asien" bei Art Skript Phantastik geschafft - mein erster Ausflug in dieses Genre und meine erste Kriminalgeschichte.
Bei diesen beiden soll es aber nicht bleiben ... Ich halte euch auf dem Laufenden.
Den Namen kennt wahrscheinlich jeder: Marco Polo nennt man in einem Atemzug mit Kolumbus, auch wenn seine historische Leistung nicht in der Entdeckung, sondern der ausführlichen Beschreibung eines weit entfernten, aber seit langem bekannten Reiches lag.
Doch war Marco Polo wirklich in China und am Hof des Mongolenherrschers Kublai Khan? Oder hat er bloß aus fremden Quellen abgekupfert und den Rest erdichtet?
Mit dieser Ambivalenz spielt Oliver Plaschka in seinem Roman "Marco Polo - Bis ans Ende der Welt" (erschienen bei Droemer, November 2016). Marco Polo diktiert dem Schriftsteller Rustichello da Pisa in ihrer gemeinsamen Haft seine Lebensgeschichte: die jahrelange, gefahrvolle Reise zusammen mit Vater und Onkel quer durch Asien, die Audienz beim Khan, seine Tätigkeit für ihn als Statthalter und die verbotene Liebe zu dessen Tochter Kokachin. Nicht nur Rustichello zweifelt immer wieder am Wahrheitsgehalt der Erzählung, auch ich selbst stelle mir die Frage, was historisch belegt ist, was Polo hinzu erfunden hat und was der künstlerischen Freiheit des Autors entspringt. "Ich alleine entscheide, was die Wahrheit ist", weist Polo die Kritik seines Mitgefangenen zurück, er verheimliche und schmücke aus, wie es ihm beliebe. Für den Leser ist das natürlich ein Glück, denn dadurch kommen spannende Handlungsverläufe und überraschende Wendungen hinzu, die in dem als "Il Milione" bekannten Reisebericht Polos nicht enthalten oder nur angedeutet sind. Plaschka hat hier keine Nacherzählung abgeliefert, sondern ein ganz und gar eigenständiges Werk, das die zeitlich und räumlich zerfaserte Handlung durch langsam aufgebaute Konflikte und einen geschickt verwobenen Metaplot zu einem geschlossenen Ganzen vereint.
Dabei tritt Oliver Plaschka als Erzähler in den Hintergrund. Es ist Marco Polo, der die Geschichte erzählt, in seiner eigenen gepflegten, zeitgenössische Sprache, nicht in der spielerisch-magischen Ausdrucksweise Plaschkas, die ich aus dessen früheren Werken kenne. Das ist ein bisschen schade, denn natürlich hatte ich mit einer entsprechenden Erwartungshaltung zu lesen begonnen. Aber vielleicht war diese Erwartung auch unrealistisch: Plaschka verlässt mit "Marco Polo" den Pfad der Phantastik und wendet sich einem neuen Genre und damit einer neuen Zielgruppe zu. Ein historischer Roman muss sich im Ton zwangsläufig von einer Fantasy-Geschichte unterscheiden.
Neben den Kapiteln, die die relevanten Ereignisse ausführlich behandeln, gibt es auch solche, in denen längere Zeiträume zusammengefasst werden. Das ist jedesmal ein auffälliger Einschnitt. Aber wie hätte Oliver Plaschka vierunddreißig Jahre Handlungszeit anders auf gut achthundert Romanseiten unterbringen sollen? Und manchmal, so zum Beispiel beim Beschreiben des Lebens und der Feste in der alten Kaiserstadt Quinsai, wird das Verstreichen der Zeit sogar zu einem wundersamen Flanieren durch ein Kabinett farbenfroher Dioramen, voller Poesie und der für Plaschka typischen Verliebtheit in die Sprache.
Ein wenig unschön sind in meinen Augen lange Abschnitte - sogar ein ganzes Kapitel - in kursiver Schrift, deren der Autor sich bedient, wenn die Erzählstimme ins Präsens wechselt. Die zusätzliche Hervorhebung hätte ich nicht gebraucht, um den besonderen Charakter dieser Passagen zu erfassen.
Das schmälert aber nicht den positiven Gesamteindruck, den "Marco Polo - Bis ans Ende der Welt" bei mir hinterlässt. Plaschka hat es nicht nur geschafft, mich fesselnd zu unterhalten, sondern auch mein Interesse für eine Epoche zu wecken, die im europazentrierten Geschichtsunterricht meiner Schulzeit höchstens als Randnotiz Erwähnung fand. Auch wenn er im Nachwort explizit betont, der Roman sei kein Geschichtsbuch, steckt in diesem doch genügend akkurat recherchiertes Hintergrundwissen, um sich ein gutes Bild vom Mongolischen Weltreich und dem China des dreizehnten Jahrhunderts machen zu können.
Eine Faszination, die über das Ende des Buches hinausreicht, übt das Spiel mit der Wahrheit aus, das Oliver Plaschka bis zur letzten Seite aufrecht erhält und das an das Ende des Films "Die üblichen Verdächtigen" erinnert. Die venezianische Maske auf dem Cover ist mehr als eine bloße Referenz an dessen Heimat. Sie thematisiert ein immer wiederkehrendes Motiv des Romans: Nie kann man sicher sein, ob eine Person wirklich diejenige ist, die sie zu sein vorgibt - nicht einmal bei Marco Polo selbst.
"Wie viele Väter hast du eigentlich?", wird er an einer Stelle des Buches gefragt. Ich weiß es. Aber ich verrate nichts.
Seien wir mal ehrlich: In welchem Biotop kann ein Autor sich schon so artgerecht entfalten wie auf einer Convention für phantastische Literatur, umschwirrt von seinen Symbiosepartnern (freundlichen Verlegern und kaufwütigen Fans) und einer Horde enthusiastisch schnatternder Artgenossen? Und wo sonst kann der ambitionierte, aber hoffnungslos unbekannte Kurzgeschichtenschreiber seinen erfolgreichen, Lamborghini fahrenden Vorbildern so hemmungslos auf den Pelz rücken?
Kein Wunder, dass ich ein Jahr lang auf diesen einen, besonderen Tag hingefiebert habe.
Am 22. Oktober ist es endlich so weit. Weltuntergangsartigen Regen hat die Wetter-App am Abend vorher für den Raum Frankfurt angedroht. Sicherheitshalber kalkuliere ich eine halbe Stunde mehr Fahrzeit ein.
Nach relativ entspannender Fahrt bei leichtem Regen stehe ich schließlich vor dem Bürgerhaus Dreieich-Sprendlingen - eine halbe Stunde zu früh. Von den erwarteten Besucherströmen ist weit und breit noch nichts zu sehen.
Während ich noch überlege, womit ich die Zeit überbrücken soll, biegt Verlegerin Ingrid Pointecker um die Ecke.
Corinna Stamm (Freitag, 27 Mai 2016 14:08)
Thomas, es sind großartige Erinnerungen an die vielen,vielen Abenteuer mit Dir als Spielleiter - Allerherzlichsten Dank! Zwar denke ich, wenn ich Legolas gewandt auf dem Olifanten gegen vielfältige Gegner und anschließend elegant über den Rüssel zur Erde rutschen sehe, seufzend an die astronomischen Zuschläge, mit denen Du Absichten dieser Art in den Bereich der Tagträume verbannt hättest :-) , aber nichtsdestoweniger waren es denkwürdige, erinnerungswürdige, wunderbare DSA-Zeiten!!!
Sheila McLane (Dienstag, 06 Oktober 2015 09:58)
Hallo Thomas,
eine schöne Page. Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg mit dem Schreiben.
Liebe Grüße
Sheila