Der Konjunktiv I ist der Tod des Konjunktiv II. Das kann ich ganz schnell belegen.
Ich schlage ein stinkbeliebiges Buch auf: "... gingen mit einer Zielstrebigkeit vor, als seien sie schon einmal hier gewesen." Aha.
Nächstes Buch: "... schrie ihn an, als könne sie durch bloße Lautstärke ..." Bäh, weiter.
"... als lebe er in seiner eigenen Welt." - "... als wolle er ..." - "... als habe sie ..."
Gnade! Aufhören!
In einer Zeit, die knapp an knackigen Metaphern ist, hat der Vergleich Hochkonjunktur. Geht es dabei um menschliches Verhalten, greifen Autoren gerne auf Nebensätze zurück, die mit "als" eingeleitet werden. Was sie die Protagonisten in diesen Nebensätzen tun lassen, ist reiner Irrealis. Und der Irrealis erfordert einen Konjunktiv.
Aber welchen?
Kurz und richtig: Den Konjunktiv II. "... als wären sie ..." - "... als könnte sie ..."
Wollte. Hätte. Müsste.
Kann man sich als Faustregel merken: Nach "als" folgt Konkunktiv II.
Oder noch globaler: Der Konjunktiv I ist der indirekten Rede vorbehalten. Keine indirekte Rede? Dann muss es der Konjunktiv II sein.
Warum finden sich in literarischen Erzeugnissen zu neunzig Prozent falsche Konjunktive? Zunächst einmal, weil die Übersetzer dem englischen "as if" die falsche Form folgen lassen. Das erklärt aber nichts, denn in deutschen Originaltexten passiert das genauso gehäuft, fast, als steckte Methode dahinter.
Vielleicht klingt der Konjunktiv I einfach ein bisschen nobler, weltmännischer. "Als fürchte er" geht doch auch viel lockerer von der Zunge als "als fürchtete er". Dieses zungenbrecherische Extra-te! Klingt, als stotterte man!
Moment! Heißt es nicht: "... als würde man stottern"?
Eigentlich brauchen wir nur einen einzigen Konjunktiv: Würde.
Würde plus Infinitiv, und die Sache ist in trockenen Tüchern.
Aber ganz ehrlich: Schön wäre das nicht. Unsere Sprache ist aus Unwissenheit über die korrekte Konjugation vieler Verben mit der Zeit recht ... würdevoll geworden. Allerdings geht es hierbei vor allem um die gesprochene Sprache.
"Ich wünschte, ich kennte schon die ganze Geschichte", sagte meine Tochter neulich. Sorry, dass ich diese Episode wieder aufwärme, aber es war einfach zu köstlich. Kennt ihr "kennte"?
Oder "schwömme", "hülfe" und "stürbe"? Na ja, diesen verschrobenen Gesellen brauchen wir keine erste Hilfe mehr zu leisten. Die sind in "würde" gestorben.
Im Schriftdeutschen gilt zu viel "würde" dagegen als schlechter Stil. Deshalb schreiben wir: "Kämen wir später" und nicht "Würden wir später kommen". Das setzt natürlich die Kenntnis der Konjunktiv-Formen voraus.
Wenn der Konjunktiv II mit dem Präteritum identisch ist, führt das oft zu Verunsicherung. Dabei kann eigentlich nichts schief gehen: "Er wünschte sich, sein Großvater lebte noch." - Verwechslung ausgeschlossen.
"Fünfzig Euro mehr im Monat reichten ihm schon." - Erklärt sich aus dem Kontext. Trotzdem finde ich an solchen Stellen öfter mal die Behelfskonstruktion mit "würde".
Ließe ich meinen Protagonisten sagen: "Fünfzig Euro mehr würden mir schon reichen", dann wäre das vollkommen in Ordnung, denn das gesprochene Wort in der Prosa sollte die Allgemeinsprache wiederspiegeln. Kein Mensch redet so: "Sprächest du lauter, verstünde ich dich besser."
Aber, um den Kreis zum Anfang zu schließen: "Er machte ein Gesicht, als verstünde er kein Wort."
Der Konjunktiv ist vielleicht noch zu retten. Zumindest in Schriftform.
Liebe Autoren: Gebt ihm eine Chance!
Kommentar schreiben