Oder: Die DDR in tausend Jahren
Der noch ganz frische Bremer Eridanus-Verlag hat mich an der Angel. Dystopien werden gesucht, am besten "neu und außergewöhnlich". Klaro, mach ich doch gerne. Da ich dem Dystopia-Boom im Kino geschickt ausgewichen bin und auch literarisch keinerlei Erfahrungen in dem Genre habe, stehen meine Chancen ganz gut, was nie Dagewesenes aus dem Ärmel zu schütteln.
Normalerweise entwickelt sich ein Plot bei mir um die Protagonisten herum. Die benötigte Umgebung haben diese sozusagen im Handgepäck. Ich merke schnell, dass das hier nicht funktioniert: In der Dystopie ist die Dystopie selbst die plotsteuernde Kraft. Sie nötigt die Figuren zu Aktionen, besser, als jeder Superschurke oder Schwazmagier das könnte. Die Dystopie ist nicht nur ein Setting, in der Geschichten stattfinden - sie ist als System gleichzeitig ein überlegener Gegner und eine graue Eminenz.
Also, heute zuerst der Weltenbau. Die Zinnminiaturen kommen zuletzt aufs Brett.
Ich kann nicht verhindern, dass ich Dystopien mit fehlgeleiteten oder gescheiterten Utopien gleichsetze. "Planwirtschaft", denke ich. Super!
Nee, langweilig. Ist ja weder neu noch außergewöhnlich. Trotzdem lande ich immer wieder bei diesem Stichwort, bis ich nachgebe und eine LPG aufs gedankliche Reißbrett zeichne. Die läuft richtig rund, weil die Planer im Hintergrund ausnahmsweise mal Ahnung von Planwirtschaft haben. Dafür sacken sie die Produktionsüberschüsse ein.
Und wenn die Genossen aufmucken?
Jetzt purzeln die Ideen wie Fallobst. Erstens: Die Genossen denken so schnell nicht ans Aufmucken, weil sie die Überschüsse nicht irgendwelchen Politschergen, sondern ihren Göttern aushändigen. Zweitens: Die Götter lassen sich nicht lumpen und stellen der dystopischen LPG alles zur Verfügung, was diese nicht selbst herstellen kann. Und drittens sind die Genossen ganz auf sich allein gestellt, weil sie in einer Art Freiluftgefängnis leben. Ätsch!
Moment, Gefängnis? Hohe Mauern, Stacheldraht, Wachtürme? Dann werden sie erst recht aufmucken wollen!
Nein, ich muss sie davon überzeugen, dass sie gar keine Gefangenen sind.
Hat jemand "The Village" gesehen? Schade, dass es diesen Film gibt und ich die Idee nicht für mich reklamieren kann.
Also, meine LPG ist von Sperrpfosten umgeben, um die gigantischen Kampfmaschinen fernzuhalten, die in der Wildnis herumstromern. Die gibt es seit dem letzten globalen Krieg, in dem die Menschheit fast komplett ausgelöscht worden ist - bis auf unsere wackeren Genossen. Hin und wieder bricht doch mal einer der Roboter durch, nur um mit großem Tamtam von den Göttern kaputtgeblastert zu werden.
Wer hat die Pfosten aufgestellt? Wer hat die Roboter gebaut? Wer hat sich das Märchen vom letzten Weltkkrieg ausgedacht? Klar, die Götter. Und wer es sich mit den Göttern verscherzt, der kann ja selber zusehen, wie er mit baumgroßen Kampfrobotern zurechtkommt.
Klingt bescheuert bis hierher? Macht nichts. Wird noch schlimmer, wenn ich mir anschaue, wo die Götter wohnen und wie sie leben.
Nächstes Mal.
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